Inhaltsverzeichnis
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CANTILLATIO
Jeder feierlich oder öffentlich zu proklamierende Text (den der Zuhörer auf sich sitzen lassen muss!) wird auf einem Rezitationston gesprochen/gesungen. Der Text wird auf einem Ténor, Repercussions-, Tubaton, Ton(us) rezitiert.
Cicero ließ sich für die einzelnen Abschnitte seiner Reden von einem Syrinxspieler jeweils den passenden Ton angeben. Die Wahl der Tonhöhe ist bereits Festlegung einer Stimmung, was den unterschiedlichen Kirchentönen entspricht). Eine gute mittlere Tonhöhe beim Rezitieren ist g bis a (440 Hz). Bei geschulten Kantoren liegt die Rezitation bei b oder sogar höher.
Oft wird heute der Fehler gemacht, zu tief anzustimmen. Diese scheinbare Erleichterung verhindert allerdings ein Warmwerden der Stimme und ist schuld an Detonation und Einschlafen des Gesangs.
Der Rhetor hatte die logische Struktur (Satzstruktur) seines Textes durch melodische Floskeln darzustellen, die im wesentlichen Satzteil, Halbsatz und Ganzsatz anzeigen. Lateinisches und deutsches Verständnis von Satz sind nicht deckungsgleich: Satzteil, Halbsatz und Ganzsatz im Lateinischen entsprechen im Deutschen in etwa: Nebensatz, Satz, Absatz.
In seiner schlichtesten und allgemeinsten Form tritt uns dieses Prinzip der Kantillation im „tonus in directum“ (11.Psalmton?) entgegen.
In der Mediatio schwingt die Melodie zwei Silben vor dem letzten Akzent nach unten, um mit dem letzten Akzent wieder den Ténor zu erreichen. Flexa (nur bei überlangen Texten) auf der letzten Silbe Halbton nach unten. Terminatio ohne Veränderung, geradeaus (in directum) zum Zeilenende.
PATER NOSTER
Das Pater noster der Vesper wird nach dem selben Kantillationsmodell gesungen. Zu Flexa, Metrum und Punktum tritt eine zweisilbige Intonatio hinzu.
Dieses Pater noster wird in der Vesper verwendet (im GL als Nr. 632/2, im GL [1975] als Nr. 691). Was heute als das gregorianischer Pater noster gesungen wird (GL589/3) ist Neo-Gregorianik des 16.Jh. Rund um Palestrina entstanden, folgt es einer musikalisch gedachten, assoziativ fantasierenden Melodik, die nicht an der Textstruktur selber interessiert ist, sondern den Text als Vorlage für eine schön gestaltete Melodie nimmt.
Das Vater unser wird in dieser Vertonung interessant interpretiert. Die neun Textteile sind:
• eine Anrede,
• drei lobpreisende Bitten an Gott und
• drei Bitten für uns selbst, wobei die zweite und dritte Bitte zweiteilig sind.
Metrum und Schluss interpretieren den Text vierteilig.
Die Anrede und die erste lobpreisende Bitte bilden eine Einheit, die beiden weiteren doxologischen Teile eine weitere Einheit.
Die fünf verbleibenden Preces-Teile sind drei und zwei zusammengefasst.
Im Gegensatz zu den vier Schlüssen, gibt es fünf Intonationen. Die „Brotbitte“ ist so einerseits von den beiden folgenden (zweiteiligen) Bitten abgesetzt, andererseits bleibt sie aber mangels einer Mediatio mit der folgenden Bitte (Schuldvergebung: „wie auch wir vergeben“) verbunden.
ORATION
Die Oration besteht aus: Anrede – Aussage oder Preisung – Bitte – Schlussformel. Die Anrede wird wegen ihrer Kürze mit der Aussage zusammengenommen.
Eine Oration hat grundsätzlich nur einmal Beuge – Wende – Schluss. Die Kürze der klassischen lateinischen Orationen des 4. Jh (Leo I., d.Gr.) zeigen das deutlich. Die Weitschweifigkeit (verbositas) neuerer Orationen erschwert das. Ob zuerst die Beuge oder die Wende erklingt, hängt vom Text ab. Ist der Text zu kurz, entfällt Beuge oder Wende. Auch die Doxologie bildet einen Satz (Beuge – Wende – Schluss).
LESUNG
EVANGELIUM
Die wesentliche Arbeit des Evangeliensängers, die Aufgabe eines Diakons ist die Textanalyse der Perikope noch bevor irgendetwas „gesungen“ wird. Steht der Diakon über Inhalt und Struktur des Textes, so ergibt sich der Vortrag von selbst.
1. Evangelienton
subsemitonal – schlicht
Genaugenommen gibt es nur 2 Formeln: Satzschluß und Abschluss (Evangeliumende). Beuge und Wende werden nicht berücksichtigt. Bei Fragesatz kommt die Absenkung der Rezitationsebene dazu.
3. Evangelienton
2. Evangelienton
subtonal schlicht
4. Evangelienton
subtonal komplex
5. Evangelienton
hymnischer Dreischritt
Das Modell ist denkbar einfach, aber es erwartet Texte im hymnischen Dreischritt. Die drei Teile (A B C) haben als Strukturelemente den ersten und letzten Akzent, den sie mit einem Nebenton vorbereiten, A braucht sogar nur den letzten Akzent.
A rezitiert auf DO und fällt, wie alle subsemitonalen Strukturen, vor dem letzten Akzent eine kleine Terz nach unten.
B rezitiert einen Ton höher auf RE, der Vorbereitungston des ersten Akzentes ist der selbe tiefe Ton wie in A, aber nun eine Quart tiefer. Sind mehr als eine Silbe akzentvorbereitend, so rezitieren alle, außer der letzten, auf dem DO von A weiter. Der Endakzent von B wird mit einem Ganzton nach unten vorbereitet.
C rezitiert wieder auf DO: der Anfangsakzent wird mit dem höheren Ton „mi“ vorbereitet. Sind mehr als eine Silbe akzentvorbereitend, so wird, wie schon in B, auf dem vorherigen Rezitationston (RE) weitergesungen. Der Schlussakzent wird wie in A mit der kleinen Terz nach unten auf der vorherigen Silbe markiert.
Fragesätze verwenden nur A und B. Kurze Sätze, die nicht in den hymnischen Dreischritt passen, verschmelzen B und C zu einem Modell mit Rezitation RE und DO. Längere Texte können in jedem Teil (ABC) die Figur des letzten Akzentes wiederholen. „sondern aus Gott geboren sind“
Der Schluss des gesamten Evangeliums (cf. die Struktur der Tractus) wird mit einem Durchgang „mi-re“ vor dem ersten Akzent DO von C angezeigt.
A In principio erat Vérbum /B et Vérbum erat apud Déum /C et Déus erat Vérbum.
A Hoc erat in principio apud Deum /B Omnia per ipsum facta sunt /C et sine ipso factum est nihil quod factum est.
4 In ipso vita erat, et vita erat lux hóminum / et lúx in tenebris lúcet / et ténebræ eam non comprehendérunt.
6 Fuit homo missus a Deo, cui nomen erat Joannes.
7 Hic venit in testimonium ut testimonium perhiberet de lumine, ut omnes crederent per illum.
8 Non erat ille lux, sed ut testimonium perhiberet de lumine.
9 Erat lux vera, quæ illuminat omnem hominem venientem in hunc mundum.
10 In mundo erat, et mundus per ipsum factus est, et mundus eum non cognovit.
11 In propria venit, et sui eum non receperunt.
12 Quotquot autem receperunt eum, dedit eis potestatem filios Dei fieri, his qui credunt in nomine ejus :
13 qui non ex sanguinibus, neque ex voluntate carnis, neque ex voluntate viri, sed ex Deo nati sunt.
14 Et Verbum caro factum est, et habitavit in nobis : et vidimus gloriam ejus, gloriam quasi unigeniti a Patre plenum gratiæ et veritatis.
A Im Anfang war das Wórt /B und das Wórt war bei Gótt /C und das Wórt war Gótt.
A Im Anfang war es bei Gótt /B Alles ist durch das Wórt geworden, und ohne das Wórt /C wurde níchts was gewórden ist.
A In ihm war das Lében und das Leben war das Licht der Ménschen /B Und das Lícht leuchtet in der Fínsternis /C und die Fínsternis hat es nicht erfásst.
A Es trat ein Ménsch auf /B der von Gótt gesándt war /C sein Náme war Johánnes.
A Er kam als Zéuge, um Zeugnis abzulegen für das Lícht /B damit álle durch ihn zum Gláuben kommen. Er war nicht sélbst das Licht /C er sollte nur Zéugnis ablegen für das Lícht.
A Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Wélt /B Er wár in der Welt und die Welt ist durch ihn gewórden /C aber die Wélt erkánnte ihn nicht.
BC(kurz) Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht áuf.
Allen aber, die ihn aufnahmen/ gab er Macht, Kinder Gottes zu werden/ allen, die an seinen Namen glauben,
A die nicht aus dem Blút /B nicht aus dem Willen des Fleísches, nicht aus dem Willen des Mánnes/C sondern aus Gótt gebóren sind.
A Und das Wort ist Fléisch geworden und hat unter uns gewóhnt /B und wír haben seine Hérrlichkeit gesehen, die Hérrlichkeit des einzigen Sohnes vom Váter C voller Gnáde und Wáhrheit.