Das Vorurteil, Musik bestünde aus Tönen, hindert uns grundlegend dem Gregorianischen Choral adäquat gegenüberzutreten. Die Aussage: „Der Pes ist eine Zweitonneume“ geht vom Ton als Maß der Dinge aus und führt uns von Anfang an auf Holzwege.

Eine Neume ist eine Silbe, die der Sprache entsprechend länger oder kürzer sein kann, sich auf oder ab bewegt und das über zwei oder mehr Stufen. „Der Pes ist also eine Zweistufenneume.“ Das führt zu einer anderen Sicht der Neumen, die sich vor allem in einer geänderten Nomenklatur ausdrücken muss. Die Dauer (Intensität) einer Neume ist nicht bloß durch

kurrent – nicht kurrent = k – nk ausgedrückt, auch Tonvervielfachung (Bivirga – Strophicus), Liqueszenz und initium debilis (i.d.) spielen mit. Das heißt, die Dauer einer Silbe ist nicht durch die Tonanzahl eindeutig festzulegen. Aber auch die Anzahl der Stufen definiert eine Neume nicht immer eindeutig (Pes = zweistufige Neume; eintoniger Pes …).

Hier wird der Versuch unternommen, die gängigen Namen der Neumen den heutigen Erkenntnissen entsprechend zu ergänzen und wo nötig zu modifizieren.

Zu Pes und Clivis ist nicht mehr zu sagen, als dass der kPes, dessen erster Ton so leicht ist, dass er verschwinden kann, und somit als Virga urgens den nahtlosen Übergang zur Einstufenneume bildet, auch als Eintonneume verstanden werden kann. Bei der Clivis, die a priori in beiden Stufen breiter ist, ist ein solches changieren nicht denkbar.

Pes (nicht-kurrenter Pes, kurrenter Pes oder Virga urgens): tief – hoch; akzentuierende Bewegung.

Clv (Clivis): griech. klínein: sich beugen, neigen, lehnen; zwei Stufen nach unten, verbindend, ausbreitend: hoch – tief; abrundende Bewegung.

Sca (Scandicus): tief – hoch – höher; verstärkt die Betonung.

Trc (Torculus): tief – hoch – tief; breitet aus, schmückt.

Por (Porrectus): hoch – tief – hoch; beschleunigt, treibt weiter.

Clm (Climacus): hoch – tief – tiefer; breitet aus, verstärkt die Abrundung.

Geht die Bewegung in der selben Richtung weiter (z.B. Scandicus, vier Stufen nach oben), dann bleibt der Name Scandicus erhalten; es ist dann ein Sca4.

Ändert sich aber die Bewegung nach drei Tönen, so ist sie entweder nach oben: resupinus/resupina (res) oder nach unten: flexus/flexa gebogen (flx).

CLV spp flx = NMA applicatio