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Litterae significativae
Die Zusatzbuchstaben sind angeblich im 9.Jh durch den römischen Mönch Romanus(!) ins Frankenreich gebracht worden, daher ihre Bezeichnung als „Romanus-Buchstaben“. Die Litterae significativae gehören zu den adiastematischen Handschriften und werden exzessiv in den St.Galler Handschriften benützt (Hartker). In den Quellen des Messrepertoires verwenden Laon und Chartres die litterae significativae ebenfalls, aber seltener als St.Gallen (Einsiedeln, Cantatorium etc.); Mont Renaud kennt sie kaum.
Ihre Einteilung in melodisch relevante und artikulatorisch relevante „litterae“/Buchstaben ist problematisch, da die Verwendung der Buchstaben vielschichtig ist.
Was die litterae können und sollen, ist 1737 ein schönes Beispiel.
c
celeriter
Das celeriter verhindert das Ausbreiten einer Neume: c = gehe weiter, verweile nicht.
Bei der Clivis ermöglicht es, drei Kategorien darzustellen: kurrent (mit c), mittlerer Wert (ohne Zusatz), nicht kurrent (episemiert). Während der grundsätzlich impulsive Pes mit zwei Kategorien auskommt, kurrent (rund in H - verbunden in MR) oder nicht kurrent (eckig in H - unverbunden in MR), wird die grundsätzlich ruhige Clivis in drei Kategorien dargestellt: die normale Form stellt den mittleren Wert dar, episemiert ist die Clivis nicht kurrent, soll die Clivis flüssig gesungen werden, bekommt sie ein „c“ = celeriter. In circa einem Drittel der Fälle hat die Clivis diese Form. MR kennt diese Unterscheidungen nicht, es gibt nur eine einzige Graphie der Clivis.
cm
celeriter mediocriter
relativiert, in 7677 „cynamomum“ das Episem auf der Clivis am Wortende.
cv
celeriter valde 0707
c – st – x
celeriter – statim – exspectare
Steht das „celeriter“ am Centoübergang, so zeigt es einerseits den Beginn eines neuen Cento an, für eine notenlose Gedächtniskultur sehr hilfreich, andererseits legt es abwechselnd mit „statim“ und „exspectare“ fest, in welcher Sprechlogik die Antiphon vorzutragen ist, wo Satzteile zu verbinden sind „c“, wo die Teile klar voneinander zu trennen sind „x“ und wo ein Satz ruhig abzurunden ist, dann aber sofort (statim) weiter gesprochen werden soll „st“.
Zwei Beispiele, die ähnlich strukturiert sind (INC Vrgstr = Vorspann + BIN triff + TER) aber sehr unterschiedlichen „Sprachstress“ aufweisen:
0269 „Laverunt stolas suas / et candidas eas fecerunt in sanguine agni.“ der zweite und dritte Teil des Textes fließen in einem, ungegliedert zum Schluss.
0048 „Levabit dominus signum /x in nationibus /x et congregabit dispersos israel.“ Die Teile stehen jeder für sich selber (2x exspectare!).
1328 wird innerhalb der Antiphon ein zweiteiliger Ablauf wiederholt (INC Clv + TER de5): „Iohannes et paulus / dixerunt ad iulianum + Fac votum deo caeli / et eris victor (st) melior quam fuisti“ Die Wiederholung der TER de5 wäre problemlos anwendbar, der Wille nach „victor“ zu gliedern aber nicht abzubrechen, ändert auch den Cento TER de5 in = BIN triv + TER de3.
Auch außerhalb des Centoüberganges kann die Sprechlogik ein „statim“ verlangen.
1061 „Die Frauen saßen am Grab und weín ← ten schrecklich, um den Herrn“.
1360 „Bonum certamen certavi, cursum consummavi fidem servavi“ Das celeriter auf der ersten Silbe verhindert eine falsche (den gúten Kampf…), sinnverzerrende Betonung: „ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf volléndet, den Glauben bewáhrt.“
Weitere Beispiele für c - st - x im Centoübergang und im Centoinneren:
c | celeriter | schnell, ohne Gliederung weiter | 0018, 0242, 0269 | ||
st | statim | abrunden, dann gleich weiter | 0033, 0205, 0008 | 0006, 0034 | |
x | exspectare | abschließen, stark gliedern | 0030, 0048, 0004 | 0059, 1552 |
statim: claude et subito procede
t
tenete
Während „x“ eingesetzt wird den Text zu gliedern, ist „t“ tenete/tenere der Buchstabe der das Aushalten/Erweitern einer Silbe/Neume einfordert, durchaus dem Episem entsprechend (siehe oben 1328).
Das exspectare steht also zwischen zwei Silben, Wörtern oder Centones, das tenete auf einer Silbe/Neume.
Häufig steht das tenete bei Liqueszenzen und verstärkt deren klangerweiternde Funktion.
s + i beim Cephalicus
Unter dem Köpfchen der Liqueszenz können nur zwei Buchstaben stehen: sursum oder inferius.
sursum fordert viel Klang ein, während inferius einen eher lautlosen Stau fordert.
s – l
sursum und levare bedeuten „höher“ und werden synonym verwendet. Seit langem gibt es die Vermutung, „levare“ bedeute die eher melodische Komponente, während „sursum“ die emotionale Dimension des Gesanges anspreche („sursum corda“). Wie es aussieht, trifft das nur für codex Hartker zu.
sursum und levare im codex Hartker
a – i
altius - inferius
s sursum 0666 sc „sursum corda“ emotional verstanden l levare 0749 0274 s+l 0319 s+l rein melodisch zu verstehen a altius 0018 2.mal MED
i inferius 0028, 0274
h
humiliter
Ch
a + kPes
In der Formel „vocatio“ ist grundsätzlich mit unisonischem Anschluß des Binnenpes zu rechnen. Daher sind kPes mit a in Binnenfunktion bemerkenswert
0939 „deprecat-i-ó-nem“„ 0941 „e-go áutem“
1935 „et ab-issos“
e
equaliter
0518 „repertus est vidi“
CO 0616 „iu-bi-la-tionis“; „di-cam“
🔴 sehr oft ist das aequaliter auch Signal für den Cento-Wechsel 7081, 7639 „nunc dimittis -e- servum tuum“.
0039 “et ef-fundam„
1333 „et ab invicem / non sunt separati
1210 „crucis“ Pressus als Zeichen für den Centowechsel.
„nostris libera“'equaliter' als Zeichen für den Centowechsel.
🔴 aber auch das celeriter kann dies Funktion übernehmen: 1476 „multitudo -c- angelorum“
e.g.: 0143 „narrant populi 'e' et laudem“ das 'equaliter' ist als Melodiehinweis überflüssig: zwei Tractui nebeneinander müssen gleich hoch sein, aber hier ist der INCIPIT-Cento zu Ende.
i
inferius = tiefer
e i
equaliter inferius
1053 „Ibi“ Anschluss an das vorhergehende „alleluia“ , das auf „mi“ endet. Ein Hinweis auf den folgenden QuintPes „re-la“. Das „re“ ist gleich hoch dem „mi“, aber tiefer! Entgegen der verbreiteten Eröffnung mit „sol“ (Kl, A, Bv35).
m – p
mediocriter - parvulum
Mediocriter und parvulum sind litterae significativae, die einen andern Buchstaben in seinem Gewicht zurücknehmen oder modifizieren. Aber auch ohne einen anderen Buchstaben können sie in einem bestimmten Kontext eine Neume interpretieren.
m mediocriter 0274, cm 0547, cm 0547
cm 1657
am altius mediocriter 0028
p parvulum 0307, 1657 daher “sa“ Der Cento 1NOV typ beginnt immer mit „sa“, das „p“ erinnert daran: „sa“ nicht „si“
m
s - i unter dem Köpfchen des Cephalicus
Steht der Buchstabe direkt bei/unter dem Köpfchen des Cephalicus, so bezieht er sich auf die Intensität der erklingenden Liqueszenz
1057„ex-al-tabis“ Der nkPes ist melodisch mit inferius beim ersten Ton und sursum beim zweiten Ton klar festgelegt, so kann das zweite inferius unter der Liqueszenzschlaufe keine melodische Bedeutung haben, sondern muss ein emotionaler Himweis sein.
7320 „ut testimonium“
weitere Buchstaben und Kombinationen
v
v = valde = sehr 0114 “sem-per“
iv
iv = inferius valde = sehr tief 0107 „e-o-rum“
co
co = coniunguntur, coniunctim = verbunden
Was Agustoni/Göschl uninterpretiert als (seltenes) Beispiel im GR-Repertoire bringt 0234 „su-um“, 0177, „vir-tu-te“, ist im RP-Repertoire eine häufige Buchstabenkombination. Ausnahmslos kommt sie beim Pressus vor, eine Reperkussion des Oriscuszeichens verhindernd.
Man könnte den Eindruck haben, der Recluse Hartker notiert verzweifelt gegen seine Mitbrüder, die nicht mehr den ursprünglichen Sinn des Oriscus kennen und ihn als eigenen Ton singen.
cf.: RP7383 „noli ti-mere“ + „de-us meus“
RP 63x, AN 8x, GR-Repertoire 6x,
vol
len
leniter sanft, ruhig, anmutig: OF 0557 „cor-de“, CO 0721 „chris-to“, CO 0632 „eu-ge“, 0456 „an-cil-lae“ ,
n
non tenere oder negare 1976
in L: das ist kein Artikulationspunkt, singe es verbunden: 0253 „da no-bis“, 0182 „qui ve-nit“, 0149 „re-plevit“
pfect
pfect = perfectum = vollkommen, mit großer Sorgfalt 0634 „fruc-tum“
pl
placuit Höpli s.VIII, plus Höpli s.XV. 0681 L „ser-vo“
sep
? 0557 „et exsulta-te“