⬅️ SEMIOLOGIAx
Seit Eugene Cardine seine „die für die damalige Zeit revolutionären Ideen“ (J.Berchmanns Göschl, Psallite sapienter, Budapest 2008) in seiner Neumentabelle zur Diskussion stellte, haben sich zwei Publikationen mit den Neumen der ältesten Handschriften aus semiologischer Sicht befasst:
1) Die „Semiologia gregoriana“, deutsch erst 2003 publiziert, die von Godehard Joppich betreut, unmittelbar die Gedanken Cardines in ein System brachte und tatsächich ein erstes Semiologisch-Gregorianisches Lehrbuch ist.
2) In den Gregorianikkursen in Essen, ebenfalls von GJ initiiert, wurden die Erkenntnisse Cardines entfaltet und in einer fruchtbaren Konfrontation zwischen GJ und Luigi Agustoni, dem Weggefährten, nicht Schüler Cardines, vertieft. Daraus erwuchs die
„Einführung in den Gregorianischen Choral“ Luigi Agustoni/Johannes Berchmanns Göschl, Regensburg 1987/1992.
Beide Publikationen behandeln auch das Quilisma und den Oriscus und gehen wie selbstverständlich davon aus, dass diese Zeichen, wie eine Virga oder ein Tractulus, einen klingenden Ton abbilden. Zur Beurteilung dieser Position sind zwei historische Fakten mitzubedenken:
▪️ Ab ca. 1200 verwendet keine Handschrift mehr das Quilisma, alle Quellen sind inzwischen diastematisch. Ausnahme ist die St. Galler adiastematische Tradition, die unverändert bis ins 15.Jh. weitergeführt wird.
▪️ Die cist. Tradition kennt von Anfang an das Quilisma nicht mehr.
Erst die Restauration des 19.Jh (Solesmes) bringt das Quilisma wieder ins Spiel.
Agustoni spricht unter 1.2.2 das Phänomen an, das der wesentliche Ausgangspunkt unserer Neographie ist: Jeder kPes ist eigentlich eine Virga emphatica und näher der Eintonneume angesiedelt als dem üblichen Pes (nkPes). Agustoni ist dem Verständnis des Problems mehr als nahe: Sein Problem und das seiner Zeitgenossen ist, dass sie unhinterfragt das Quilisma für eine „Note“ halten. („Ein so aufwendiges Zeichen kann doch nicht -nichts- bedeuten GJ). Es bedeutet auch nicht -nichts-, es ist ein linear-Hinweis in einer linienlosen Schrift. Wenn Agustoni in 1.2.2.1 das Quilisma beschreibt „Mit Sicherheit steht eines fest: die Quilisma-Note ist von allerkürzester Dauer und geringster Wertigkeit und wird von dem folgenden Ton, der der eigentliche reale Ton ist, angesogen, ja aufgesogen, so sagt das fast alles. Agustoni nennt im weiteren Verlauf das Quilisma „einen portamentoartigen Tonansatz“. Den sehen wir bereits im kPes verwirklicht. So bleibt als Schluss aus der Postion Agustonis und dem Quellbefund nur eine Frage zu stellen; Ist es wirklich so schwer zu sagen 'das Quilisma ist kein Ton'? cf.: Agustoni/Göschl : 1/I S.57-59
Wäre das Quilisma ein Ton, gäbe es im Cantus praktisch nur Sekundschritte.
Das Quilisma ist ein karolingisches „a“ = altius und bedeutet: singe höher als (sonst) üblich.
(etwas polemisch: Wir lesen auch in Klaviernoten ein „ff“ fortissimo nicht als „Töne“, selbst wenn es in den Notenlinien steht, sondern als Hinweis auf die Intensität, so wie in den Neume das Quilisma als Melodiehinweis. Wir lesen das (#) Kreuz vor einem „f“ auch nicht als ein weiteres „f“ sondern als Hinweis, dass das „f“ einen Halbton höher zu erklingen hat: „fis“.
zB Crux fidelis „fronde“ Quilisma für QuintPes !(?)
1707 T1 “habet“
7305 RP „Factus est mihi“
7404 „homo“
7563 „fi-ni-tur“ Das Quilisma ist kein Ton. Nur das sehr späte Lc füllt den Terzsprung nach oben auf. Selbst Bv tut das nicht.
Die Fülle der, oberflächlich betrachtet, Gegenbeispiele ist nur dann ein Argument, wenn Gregorianischer Choral allzeit das Selbe gewesen wäre. Wir vertreten hier den Zustand um das und vor dem Jahr 1000. Spätestens im 12. Jh wurde das Quilisma sehr wohl als Ton verstanden und vor allem längst nicht mehr portamentoartig gesungen.
(Seit wann wird der Begriff „Quilisma“ für dieses Graphem verwendet?)
1935 Qui cae-lo-rum„ nur AM schreibt ein quil.
columna es immobilis
7636 Schluss „allelu-ia“ vide Ka!
7063 “vo-cem„
RP-Psalmodie 2.tonus
7370 „lux“ + „do-mi-ni“
Argument GJ: ein so aufwendiges Zeichen kein Ton? Das Quilisma ist ein Buchstabe „a“, wie er im Cantatorium grundsätzlich verwendet wird
( a = altius = höher als in diesem Fall üblich).
Beispiele: 0055, 0838, 7064, die Repetenda wird mit „Sup“ und einem Quilisma (= a) notiert: Supra!
Zur Entwicklung des Quilisma in Bv cf.:1690
cf.0384 Bv34 „Mirabi-lis“ bewusstes Ausschreiben des mittleren Tones.
vide.: 1025 MR „memine-ro“ 0978 OF-V2 MR „vi-as“, „et“, „dex-tera“.
7074 „tra-di-dit“, „ie-sum“
7166 „pro-ce-dit“ Gf !
7137 “in ab-scondito„
7267 „Ec-ce“ T1 im Vergleich mit T2 + Bv
7524 “trans-itu„
7073 Ka weiß, dass ein Durchgangston fehl am Platz ist, aber „rettet“ die Tonanzahl: „perci-pe“, „remitte mi-hi“ T1 “ne sileas„,
7325 „arch-an-geli“ MR Quilsma, H nicht (wegen der Liqueszezz?!).
7699 Das ganze Responsorium: ein Lehrstück zum Quilisma
0626 „penitenti-am“.
8161 T1 “a iuventute“
7071 „do-mi-nus tecum“ + „rub-ro“
0089 „iudicium tu-um“
Gf 7471 „alte-ra“, 7654 „alte-ra“ Quilisma unisonisch!?
in Bv33 bezeichnet das Quilisma im Gegensatz zu G den ersten(basis) Ton, und zeigt an, dass der nächste Ton eine Terz höher steht 1457 „Sur-re-xit“.
Argument Responsorial-Vers 2.Modus: “Om-nia/= Inper-fec-tum“ 7602. Das Quilisma der frühen Handschriften H+Tol wird nur in den Tonleiter-auffüllwütigen späten Codices Lc+Bv als Ton übertragen (?). Alle anderen wissen um den Terzschritt der Eröffnungsneume des 2. Resonsorial-psalmtons.
Virga quilismatica Psalmodie 7. Modus, e.g.: 0162 „ex-sul-tationis“ vide Bv +Zw
CO Aufer a me 0606 Im Psalmvers (E, p.427/9) hat der Schreiber im Text 3 Silben ausgelassen „inmlati“ soll heißen „inmaculati“. Die Auslassung ist mit Quilisma (karolingisches „a“) markiert.
In Hartker zweizackiges - dreizakiges Quilisma 7223 große Terz - kleine Terz !? 7523 „duos“.
eine starke Akzentneume, sie beendet einen Cento mit Frage/Rufzeichen (vor allem auf der Endsilbe baut sie sehr viel Spannung auf)
Die Selbstverständlichkeit mit der Bv34 leere Terz ausfüllt z.B.: OF 0458 „á-nimae“.
Auch bei Kl könnte man argumentieren, das Knöpfchen in der aufsteigenden Terzlinie wird geradezu zwangsläufig geschrieben, ohne Rücksicht, ob hier eine Note, (oder ein Quilisma) gemeint ist oder nicht. Oder wurden dies Knöpfchen nachträglich eingefügt? vide OF-V1 1007 „di-cite“ und „laudi e-ius“.
vide 7288 etc. Ka „tem-po-re“ weiß um den Terzsprung nach oben, will aber, Kind seiner Zeit, das Quilisma als Ton darstellen; daher wird der untere Ton wiederholt.
vide 7724 „et con-ti-nuo“ Der Dreiklang „fa-la-do“ ist centotypisch. Das Quilisma ist kein Ton.
Vielleicht das beeindruckenste Beispiel ist 7570 „cili-ci-o“
7071 „do-mi-nus tecum“ + „fi-li-us dei“ + „ex te“ cf. MR + H.
7354 „li-be-rabo“ MR kein Quilisma.
0152 „de-us“ vide tabulam.
0964 Meditabor V1 „pars me-a“
7002 RP A facie „tu-i“
7631
7029 „cottidi-e“ Alle Handschriften wissen bei dieser Neume um den Terzsprung nach oben, keine schreibt ein „si“. Ka+T wissen, dass das Quilisma kein Ton ist, Wc, Fo2, Lc, Wm wollen kein Jota oder Strichlein verlieren und verstecken den von ihnen vermeinten zweiten Ton in der Wiederholung des vorherigen Tones, der vorherigen Silbe „la“; sie schreiben Pes „la-do“. Die übliche Methode der Beneventaner ist in solchen Fällen mit einer Clivis den nachfolgenden Absprung zum Durchgang aufzufüllen, Clivis „do-si“.
Zu diesem Thema:
Psallite sapienter, Festschrift zum 80. Geburtstag von Georg Béres, Budapest 2008.
Xaver Kainzbauer, Die Virga quilismata; ist das Quilisma ein Ton?
xk_virga_quilismata.pdf
7372 Im 11.Jh verfestigt sich das Quilisma zum Ton: „Im-petum“ und „spi-ritum“ Bv1 - Bv2 „di-cen-tem“ T1 - T2
7565 „vul-nera“ T1 Quilisma; ist der Knick in Bv wirklich ein „Ton“? Siehe auch MR - H !
7379 Wc weiß in der Kadenz, dass das Quilisma kein Ton ist sonst nicht :„tu-ere“, „ado-rate“, „vobis-cum est“, aber „vestris“: vide et Incipit „In conspectu“.
HalbtonPes ? 7784 e.g.: „evan-ge-lium“.
7499 „sol iustitiae“ Tol schreibt Quilisma, keiner sonst einen Ton. Es ist zweifelhaft, dass der Knick in Bv21 einen Ton bedeuten soll. „sol iusti-ti-ae“, eine weniger markante Stelle schreiben alle, außer Tol, einen Ton. Aber auch diesmal ist Bv nicht wirklich als Ton (Knick) zu sehen. Die CAD kan am Ende: Wc hat nie einen Durchgangston.
7123 „ex-cla-mavit“, „rab-bo-ni“!
7522 „terra“
7206 „ma-nus nos-trae“ cf. et Gf, „pol-lu-antur“ „ca-ro e-nim“
In den diastematischen Quellen verwenden nur T1, T2 und Bv1 ! das Quilisma.
An vielen Stellen, wo T1 (frühes 11.Jh) noch Quilisma schreibt, schreibt T2 (späteres 11.Jh.) bereits einen Ton a.e.:7028 Das Quilisma ist kein Ton:7405 V. Fo - T1 Marga-ri-tas„
Ka hat eine eigene Art mit dem Quilisma umzugehen: vide ad exemplum 7443 „alle-lu-ia 2 (von 4)“
7019 „de intro-i-tu“ MR !
7129 „deum ge-mi-tibus“
7197 „Di-li-gam“
7575 “re-sponde mihi„
7419 „quod ius-sa sum“ keine Quelle schreibt Halbtonpes.
7137 “in ab-scondito„ Ton oder nicht Ton, das ist hier die Frage.
7256 “vo-cem„